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Nainas Twitter-Wut trifft auf taube Lehrerohren

Veröffentlicht: 21. Januar 2015 um 12:12 Uhr   /   by   /   comments (0)

Ein Tweet einer 17-jährigen Schülerin aus Köln löst eine landesweite Debatte über Schullehrpläne aus. Bundesbildungsministerin Wanka lobt Naina K. vorsichtig. Doch es gibt viel Gegenwind und Kritik.

So kann man aus persönlicher Sorge eine nationale Bildungsdebatte entfachen. Naina K. aus Köln schrieb am Samstag via Twitter: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“ Um an ein viel interpretiertes Gedicht zu erinnern: Die Geister, die sie rief, wurde sie erst einmal nicht los.

Etliche Teenager waren sofort begeistert. Über 12.000-mal wurde der Eintrag geteilt, mehr als 22.000-mal favorisiert (Stand: Dienstagnachmittag), minütlich prasseln neue Reaktionen auf Twitter auf sie ein. Gigantische Interaktionswerte für einen Account aus Deutschland.

Die 17-Jährige beklagte fehlende Alltagsnähe im Unterricht: „Klar, wir lernen in der Schule wichtige Sachen. Aber niemand bringt uns bei, wie man später auf eigenen Beinen steht.“

Binnen Tagen wuchs ihre Anzahl an Followern auf Twitter auf mehr als 10.000 an. Damit hat Naina K. mehr Fans in dem sozialen Netzwerk als so mancher Bundesligaspieler. Kein Wunder: Die 17-Jährige hat ja auch mehr zu sagen als so mancher Profikicker.

Nach dem Abi ein freiwilliges soziales Jahr

Lernen wir fürs Leben oder für die Schule? Vor allem junge Twitter-User dankten @nainablabla – so ihr Twitter-Account –, dass jemand ihre Gedanken einmal öffentlich ausgesprochen hat, und stellten sich viral hinter die „selbst ernannte Prinzessin“ – so beschreibt sich Naina jedenfalls selbst in ihrem Profil. Lieber würden sie über Risiken beim Riestern statt über Rousseau Bescheid wissen, lautet der Tenor der Teens. Etliche twittern, sie hätten heute im Unterricht schon über ihren Post gesprochen.

Naina geht in die zwölfte Klasse eines erzbischöflichen Kölner Gymnasiums und will in diesem Jahr ihr Abitur machen. Leistungskurse: Erdkunde und Englisch. Ob sie nach der Schule eine Ausbildung oder ein Studium anfängt, wisse die 17-Jährige noch nicht. Erst einmal will sie in einem freiwilligen sozialen Jahr, möglichst im Kulturbereich, Erfahrung sammeln.

Naina denkt deshalb darüber nach, zu Hause auszuziehen und in einer WG zu leben. Ihr fällt auf: „Ich habe keine Ahnung von Wohnungssuche, weiß nicht, was ich für Versicherungen brauche, wie das mit Krankenkasse oder Kindergeld läuft.“ Sie fühle sich von der Schule nicht vorbereitet auf die Pflichten, die mit 18 auf Jugendliche zukommen, sagte sie dem „Express“.

Zustimmung der Bundesbildungsministerin

Dass ihr Tweet solch eine Welle loslöst, hatte Naina K. nicht gedacht. Für sie war dieser Eintrag einer wie jeder andere. Als sie Sonntag jedoch aufs Handy blickte, staunte sie nicht schlecht: „Ich bin völlig überwältigt von dem Hype, seit Samstagmittag ist die Lage eskaliert“, sagt sie.

Fernsehteams berichten über ihren Post, selbst die Bundesbildungsministerin gibt einen Kommentar ab – und stellt sich hinter das Mädchen. Es sei toll, dass sie eine Debatte entfacht habe, so Johanna Wanka (CDU): „Ich wäre auch dafür, mehr Alltagsfähigkeiten in der Schule zu vermitteln, das ist jedoch nicht gegen die Gedichtsinterpretation in vier Sprachen gerichtet“, sagte die Politikerin zu RTL.

Doch Naina erhält nicht nur Zustimmung. In Reaktionen von Lehrern und Lehrerverbänden heißt es unisono, dass der Fokus in der Schule auf das grundlegende Lernen des Lernens liege. „Mit dieser Bildung kann man sich dann die anderen Dinge aneignen“, so Jochen Nagel von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Auch auf Twitter sind die Reaktionen zweigeteilt: Im Gegensatz zu den jüngeren Usern sehen viele Berufstätige und Eltern vor allem fehlenden eigenen Elan bei der Gymnasiastin.

„Wir nehmen das sehr ernst, wenn die Schülerin sagt, sie lernt etwas, aber es fehlt ihr noch etwas“, reagierte das Ministerium für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen auf „Welt“-Anfrage. Die Kritik der 17-Jährigen teile man im Kern jedoch nicht: „Schule hat einen ganzheitlichen Bildungsauftrag. Deshalb erlernt man in der Schule Basiskompetenzen, die fit machen sollen für das Leben.“ Guter Unterricht würde an Lebenswirklichkeiten anknüpfen, heißt es weiter in der Erklärung. „In diesem konkreten Fall also dürfte die Schülerin das Lesen und Textverständnis erlernt haben.“

Schule kann nicht alle Probleme lösen

Die Debatte über „Verbraucherkompetenzen“ treffe die Behörde nicht unvorbereitet, teilte man mit, doch ob mehr Alltagsnähe im Unterricht in Zukunft eingeführt werden soll, ließ das Ministerium unbeantwortet. Vielmehr wird das häusliche Umfeld in die Pflicht genommen: „Schule kann nicht immer alles alleine lösen, es sind natürlich auch die Eltern gefragt.“

Zu einem Treffen werde man Naina K. wohl nicht ins Ministerium einladen. Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) träfe sich bereits regelmäßig mit der Landesschülervertretung, heißt es.

Für ihren Tweet gab es in ihrer Schule jedenfalls keinen Ärger für Naina K. „Wenn wir als Schule junge Menschen dazu befähigen, dass sie eine solch wichtige Diskussion entfachen, haben wir zentrale Erziehungsziele erreicht“, erklärte Schulleiterin Monika Burbaum. „Unsere Schülerinnen sind selbstbewusst, denken über sich und ihre Fähigkeiten nach und vertreten eigenständige Positionen.“

Natürlich wurde auch mit Humor auf den viel beachteten Tweet im Web reagiert. Der User @Tykeltur hält Kurse fürs Googlen in Zukunft für wichtig, @frautravnicek wollte das Positive aus Nainas Eintrag ziehen: „So findest du die richtigen Gedichte, die deine Verwirrung angesichts Steuern, Miete und Versicherungen ausdrücken.“

Quelle: http://www.welt.de/vermischtes/article136378579/Nainas-Twitter-Wut-trifft-auf-taube-Lehrerohren.html

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